Motivation von MeSiB
Verschiedene schwerwiegende Erkrankungen oder ein Unfall bergen die Gefahr, dass die eigenständige Atmung existentiell eingeschränkt wird und der Patient beatmet werden muss. Dabei ist der Verlust dieser Fähigkeit so existenzbedrohend das er oft auch starke psychische Konsequenzen mit sich bringt. Die Versorgung beatmungspflichtiger Patienten erfordert daher höchste fachliche und soziale Kompetenzen und stellt hohe Anforderungen an die professionell Pflegenden, aber insbesondere auch an die pflegenden Angehörigen. So birgt besonders die Heimbeatmung ein hohes Angstpotential, womit das Risiko wiederholter und belastender Krankenhausaufenthalte einhergeht.
Warum mehr Sicherheit für die häusliche Beatmungspflege?
Um den besonderen Anforderungen in der häuslichen Beatmungspflege gerecht zu werden ist es unerlässlich, dem Patienten und allen Pflegenden größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten.
Die signifikante Veränderung des Gesundheitszustandes invasiv oder non-invasiv beatmeter Patienten geht meist mit einer kritischen Notfallsituation einher. Eine plötzliche Verschlechterung beim Patienten oder eine Fehlfunktion des Beatmungsgerätes kann innerhalb kurzer Zeit eine Minderversorgung mit Sauerstoff verursachen, die zu erheblichen Schädigungen bis hin zum Tod des Patienten führen kann. Daher lastet ein sehr hoher Druck auf der Fachpflegenden und im Besonderen auf den informell Pflegenden, was mögliche Fehlbedienung des Beatmungsgerätes, Umgang mit Gerätefehlern und Fehler im Pflegeablauf angeht.
Dabei steht nicht nur die potentiell lebensbedrohliche Grunderkrankung des Patienten im Vordergrund, vorrangig ist die Verfügbarkeit aller nötigen Ressourcen für seine fachgerechte und 24/7-Versorgung. Fachärztliche Kompetenz gibt es zwar vielfach in den Krankenhäusern und spezialisierten Beatmungszentren, in der ambulanten Therapie ist in auffälligen Situationen die medizinische Expertise meist nur eingeschränkt zugänglich oder gar ad hoc abrufbar. Um diese Lücke technologisch zu überbrücken, bedarf es über das geeignete medizinische und technologische Equipment hinaus auch passgenauer Schulungskonzepte für Pflegende und Maximalversorger.
Ziele von MeSiB
Das MeSiB-Konsortium hat sich in diesem Forschungsprojekt zum Ziel gesetzt, die Patientensicherheit in der Heimbeatmung zu erhöhen und die Belastung der Pflegenden durch ein umfassendes Unterstützungskonzept zu verringern. Dies beinhaltet folgende, aufeinander abgestimmte Forschungsziele:
Ausgehend von einer kategorischen Betrachtung der Anforderungen im Feld wird im Projektverlauf eine ganzheitliche Versorgungsstruktur konzipiert und getestet. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten passender Finanzierungsmodelle eruiert, um neben der technischen auch die wirtschaftliche Umsetzbarkeit fest im Blick zu behalten.
Simulatorgestützte Schulungs- und Trainingskonzepte
Die Entwicklung spezifischer Schulungs- und Trainingskonzepte für sicherere Abläufe in der häuslichen Beatmungspflege ist ein zentraler Bestandteil im Forschungsvorhaben, der für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes in der Praxis von großer Bedeutung ist. Bereiten doch gerade die Schulungen und Trainings alle am Pflegeprozess Beteiligten auf ihre Aufgaben bei der Betreuung beatmungspflichtiger Patienten umfassend vorbereiten, sowohl auf die physischen wie psychischen Herausforderungen. Vermittelt wird dabei ein sicherer Umgang mit den Beatmungsgeräten und die Vertiefung entsprechender pflegerischer Techniken, aber auch das Wissen, wann eine zusätzliche Konsultation einer Fachkraft oder eines Arztes angezeigt ist.
Zentrale Aspekte dieser Schulungen widmen sich dem Umgang mit Telemedizinischer Infrastruktur dar und den Besonderheiten der dazugehörigen Kommunikation. Unter anderem gilt es, die Hausnotrufsysteme effizienter in die häusliche Beatmungspflege miteinzubeziehen.
Das gesamte Konzept wird iim Rahmen einer Simulatorschulung getestet, woraus in der Regel zahlreiche positive Effekte resultieren. So kann ein gesteigertes Sicherheitsempfinden der Patienten und Pflegenden kostspielige Drehtüreffekte (wie etwa voreilige Krankenhauseinweisungen) reduzieren.
Innovative Geräteunterstützung durch ambiente Szenarienerkennung
Die ambiente Szenarienerkennung für alltägliche Hilfestellungen und zur Risikoerkennung ist unter dem Begriff Ambient Assissted Living (AAL) bereits in einigen Systemen realisiert. Bisher wurden jedoch keine Verfahren speziell für die mit vielen potentiellen Risiken behaftete häusliche Beatmungspflege entwickelt. Bei der Entwicklung einer maßgefertigten Szenarienerkennung werden sowohl Raumsensorik als auch die eingesetzten medizinischen Geräte selbst mit eingebunden. Es entsteht ein soziotechnisches System, das eigenständig Gefahren erkennen und entsprechende Alarme auslösen soll. Damit kann es gelingen, den besonderen Umständen in der häuslichen Beatmungspflege gerecht zu werden. Durch die Verknüpfung von Technikentwicklung für dieses spezielle Anwendungsgebiet und der Entwicklung von Grundlagen für weitere Forschungen und Entwicklungen in der Mensch-Maschine-Interaktion, besitzt das MeSiB-Projekt einen besonderen Stellenwert.
Single Point Of Contact
Durch die wissenschaftliche Analyse von Pflegeabläufen in der häuslichen Beatmung lassen sich klar definierte Eskalationsstufen ableiten. Ein auf Algorithmen basierendes System/Programm wird zukünftig die medizinischen Entscheidungen unterstützen, aber auch - als signifikanter Sicherheitsfaktor -Alarmketten auslösen sowie unnötige Konsultationen vermeiden. Dem Single Point of Contact Konzept entsprechend, werden alle Versorgungstufen in diesem System abgebildet, ohne dass sich für den Benutzer die Art der Kontaktaufnahme ändert. Dies ist entscheidend, um die Nutzungstoleranz der Beteiligten sowie ihr Sicherheitsempfinden zu erhöhen.
Ethische Bewertung
Derzeit existieren im deutschsprachigen Raum kaum Publikationen zu den Anforderungen an die informell Pflegenden von heimbeatmeten Patienten. Das Projekt MeSiB leistet erstmals eine auf quantitativen Verfahren basierende empirisch-ethische Untersuchung, um dieses mit besonderen Belastungen verknüpfte Feld zu evaluieren und sichtbar zu machen. Dadurch berücksichtigt das Forschungsprojekt MeSiB nicht nur gültige Regularien in Bezug auf Risikoanalysen und Medizinprodukte, sondern stellt die Menschen konsequent in den Mittelpunkt seiner Betrachtung.